Monster


Siebtes Kapitel
Monster
Wär mir der Kerl, dieses Judenschwein, nicht so blöd gekommen, würd er vielleicht noch leben. Vielleicht. Hätte mir seinen verfickten Namen nicht nennen sollen. Idiot. Salzstein. Ich sag nie, wie ich heisse. Namen interessieren mich nicht. Kann sie mir sowieso nicht merken. Ausser die jüdischen. Salzstein – Judenschwein. Hätte mir seinen Namen nicht nennen sollen. Hats aber doch getan. Selber schuld. Er sammle Tierkot für seine Kunst, sagte er. Wie schräg ist das denn! Einer, der mit Scheisse malt, muss ausgerechnet mir begegnen. Mir – einem wahren Künstler, der den Menschen misstraut. Der die Menschen hasst. Der Menschen beseitigt, wenn sie ihn nerven, oder ärgern, oder wenn es einfach nötig ist. Wenn es Juden sind. Muss meine Fertigkeiten vervollkommnen. Muss noch üben. Er glaube, er habe sich verlaufen, sagte er. Irre schon seit Stunden herum, hier oben in den Bergen. Hier oben, wo ein verdammtes Judenschwein nichts zu suchen hat! Es war schon spät. Es dämmerte. Nebel schlichen tastend heran. Ich spürte, wie mich die Dämmerung in Erregung versetzte. Mich, einen Wahnsinnigen. Ich liebe die Stunden der Dämmerung, ob abends oder morgens. Am meisten aber die astronomische Dämmerung, wenn sie ihren Höhepunkt erreicht, wenn das Dunkel tiefster Nacht alles verschlingt. Ja! Das ist meine Zeit. Dann leb ich so richtig, laufe zu Höchstform auf, sinniere, philosophiere und bin. Bin das, was ich schon immer sein wollte, ein Geschöpf der Nacht.
Ob er hungrig, ob er müde sei, fragte ich den Kerl. Das sei er, antwortete er. Hätte ich gewusst, dass er ein Judenschwein ist, hätte ich ihn gleich erschlagen, oder erdrosselt, oder erstochen. Hätte ihn an Ort und Stelle in die ewigen Jagdgründe geschickt. Hätte ihn wahrscheinlich verscharrt. Oder vielleicht auch nicht. Der hätte nicht lange herumgelegen. Hier oben in der Wildnis. Den hätten sie aufgefressen, in Nullkommanichts, all die Tiere und Tierchen, die hätten ihn aufgefressen und später ausgeschissen. Leider wusste ich nicht sofort, dass er ein verficktes Judenschwein ist. Hat mir seinen Namen nicht sofort genannt. Erst später. In meinem Unterschlupf, den ich mit eigenen Händen gegraben hab. Jahrelang. Hab jahrelang daran gearbeitet. Hat sich gelohnt, muss ich sagen. Hat sich wirklich gelohnt. Fühl mich richtig wohl in dem Loch.
Warum ich einen Neoprenanzug trüge, hat er mich gefragt. Warum fragte er mich das? Geht ihn nichts an, was ich trag. Trotzdem hab ichs ihm gesagt. Tarnung. Schwarzer Neopren sei die beste Tarnung in der Nacht. Zum nachtaktive Tiere beobachten. Sei ein Hobby von mir. Seltsames Hobby, meinte er. Er, der mit Scheisse malt. Ob ich was sähe in der Nacht, in der Finsternis, fragte er. Ich zeigte ihm mein Nachtsichtgerät. Da hat er ziemlich blöd geguckt. Ehrlich gesagt, würd ich das auch. Ein zwei Meter grosser, breiter Kerl in einem schwarzen Neoprenanzug mit Nachtsichtgerät auf seinem kahlen Schädel. Mitten in den Bergen, während der Dämmerung. Mutiger Kerl, mir zu vertrauen. Jeder andere wär weggerannt. Ist halt auch ein Deutscher, dachte ich, wie ich. Ein Deutscher, der mit Scheisse malt. Irgendwie widerlich.
Plötzlich war die Nacht da. War mir egal, hab ja das Nachtsichtgerät. Salzstein war auch nicht blöd. Hatte eine Stirnlampe mit. Hätt ich nicht gedacht. Wie lange es noch dauerte bis zu meiner Hütte, fragte er. Nicht mehr lange, sagte ich. Und es sei keine richtige Hütte, mehr ein Unterschlupf. Ein Versteck. Zum Tiere beobachten. Und ein Verlies, dachte ich. Wir stiegen bergan. Versuchte mir vorzustellen, wie es kälter wurde. Kann nicht frieren. Spür auch keine Hitze. Irgendein Gendefekt. War nie ein Nachteil für mich, im Gegenteil. Könnt hier auch nackt rumlaufen. Salzstein fror, das konnte ich hören.
Wo sind wir hier, fragte er mich, als wir vor dem Eingang zu meinem Loch standen. Es begann zu regnen. An einem sicheren Ort, sagte ich. Drinnen war es stockfinster. Ich zündete drei Petroleumlampen an. Der Kerl staunte nicht schlecht, sagte, das sei ja unglaublich. Da hatte er recht. Mein Unterschlupf macht richtig was her. Da kann man es gut aushalten. Da hat man seine Ruhe, da findet einen keiner, weil hier keiner hochkommt. Und wenn doch, muss er beten, dass ich nicht hier bin. Aber wenn ich nicht hier bin, dann findet keiner das Loch. Weil ich den Zugang versperre. Und zwar so, dass keiner auf die Idee kommt, dahinter könne was sein. Nicht mal ein Bär würde es schaffen reinzukommen. Bären hat es sowieso keine hier. Alle schon lange totgeschossen.
Wo ich herkäme, aus welchem Dorf, wollte er wissen. Fragte nach meinem Namen. Ich stutzte, sagte, ich käm vom Bündnerischen, nicht aus dem Glarnerland. Sei über die Berge her gewandert. Zum Tiere beobachten. Und er solle mich Hans nennen. Sein Name sei Salzstein, Detlef Salzstein, sagte er und verwirkte sein Leben im selben Moment. Sagte, er sei Künstler aus Leipzig, stelle zurzeit im Kunsthaus Glarus aus, kleine Retrospektive. Sagte, eigentlich müsste er genau jetzt an der Vernissage sein. Reichte mir die Hand, seine dreckige Judenhand. Sah gar nicht aus wie ein Jude. Salzstein. Ich zögerte. Blickte ihm in die Augen. Seltsames Auge, das eine, dachte ich. Zögerte immer noch. Er lächelte mich an. Salzstein – Judenschwein. Stimmt was nicht, fragte er. Ich sagte nichts und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Gleich zweimal.
Das Judenschwein war bestimmt eine ganze Stunde lang weg. Bin gut in Form. Immer noch. Hab ihn gefesselt und geknebelt. Hat sich eingepisst. Egal. Kann sowieso nichts riechen. Gendefekt. Hätte nie im Leben gedacht, hier oben einem Judenschwein zu begegnen. Pech für ihn. Glück für mich. Der wär besser im Tal drunten geblieben. Idiot. Ist schon toll, wenn die Judenschweine zu dir kommen, an den Arsch der Welt. Nicht zu fassen. Er kam zu sich und schaute sich um. Ohne zu wimmern. Das eine Auge sah komisch aus. Unnatürlich verdreht. Es sei ein Glasauge, sagte er mir später. Er sei ein Zyklop, meinte er. Hoffe, du machst mir keine Schwierigkeiten wie Polyphem dem Odysseus, scherzte ich. Der Kerl lächelte tatsächlich. Hätte er nicht tun sollen. Kanns nicht ausstehen, wenn man über meine Scherze lacht. Haute ihm einfach eine runter. Das künstliche Auge hat sich noch mehr verdreht. Sah witzig aus, der Kerl. Der Kerl kam also zu sich und schaute sich um. Seelenruhig. Komischer Kauz, dachte ich. Sagte ihm, dass ich ihm den Knebel rausnähme, wenn er nicht herumzetert. Er nickte.
Warum er gefesselt sei, wollte er auf einmal wissen. Wurde auch Zeit. Weil du mir deinen Namen genannt hast, du Judensau, sagte ich. Wie bitte, sagte er und lächelte schon wieder. Sah irgendwie gruselig aus. Mit dem komischen Auge. Besser als Fernsehen, dachte ich. Ich setzte Wasser auf. Wollte Kaffee machen. Er sagte mir, dass sein Glasauge nicht richtig sitze. Pech für dich, dass du Jude bist, sagte ich ruhig. Ich hasse Juden. Ich hasse Juden mehr als alles andere. Sind Sie ein Nazischwein, fragte er mich. Hätte er nicht tun sollen, mich ein Nazischwein nennen. Hätte er nicht tun sollen. Schlug ihm nochmals ins Gesicht. Das Auge fiel heraus, vor meine Füsse. Der Jude kippte weg.
Seltsames Glasauge, dachte ich, als ich es mit dem Nachtsichtgerät betrachtete. Zoomte den Einschluss heran. Irgendein Skulptürchen. Wer trägt den so was, dachte ich. Judenschweine. Komischer Kauz. Werd mir Zeit lassen mit ihm. Werd ihn langsam vergiften. Ohne dass er es mitkriegt. Das wird ein Meisterwerk. Ein Kunststück meinetwegen. Ich setzte mich hin. Hab sogar Möbel in meinem Unterschlupf. Während der Nacht heraufgetragen, vor langer Zeit schon. Und ein paar Bücher. Alles Lieblingsbücher. Zwanzig Jahre arbeit ich schon an meinem Unterschlupf. Alles selber aus dem Stein geschlagen. Tolle Leistung. Hat mich fit gehalten. Nur einmal ist was passiert. Vor zwanzig Jahren, nachdem ich angefangen hatte, das Loch zu vergrössern, einen Unterschlupf daraus zu machen. Plötzlich stand ein alter, versoffener Kerl hinter mir. Wollte wissen, was ich hier tue. Such nach Kristallen, sagte ich. Was er von mir wolle, fragte ich. Nichts, sagte er. Ob ich einen Schluck von seinem Selbstgebrannten wolle, fragte er. Nein, sagte ich und hämmerte weiter auf den Felsen ein. Der Alte stand hinter mir, sagte, dass er auf Alp Fessis lebe, mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter. Und dem Zusenn Melchior. Sind alles Nichtsnutze, meinte er immer wieder. Die sagen, ich sei ein Teufelskind, lallte er gleichgültig. Ich musste lachen, innerlich. Wenn hier einer des Teufels ist, dann ich, dachte ich.
Ein paar Tage später erschlug ich den alten Säufer. Konnte nicht riskieren, dass jemand von meinem Versteck wusste. Nicht einmal ein alter, verbitterter Säufer. Hab ihn erschlagen und es wie einen Unfall aussehen lassen. Die Fessis-Leute waren nicht unglücklich, als sie den alten Säufer gefunden haben. Mit zertrümmertem Schädel. Hatte es damals noch immer drauf. Der alte Sack hat mich erneut auf den Geschmack gebracht. Irgendwie. Damals fing es wieder an. Mit dem Morden. Kann es einfach nicht lassen. Muss meine Fertigkeiten perfektionieren.
Warum ich das tue, fragte Salzstein, wieder und wieder. Das sei meine Berufung, sagte ich jedesmal. Und deine auch, ergänzte ich. Du wirst hier ziemlich sicher sterben, sagte ich. Ganz sicher, dachte ich im selben Moment. Lass ihm ein bisschen Hoffnung, sagte ich zu mir. Lass ihn hoffen. Salzstein – Judenschwein. Die Hoffnung stirbt zuletzt, zusammen mit dir, dachte ich und lächelte.
Mein Vater hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Der war genau wie ich. Nur konnte er sich völlig legal austoben. Damals, vor und während dem Krieg. Konnte mit den Juden machen, was er wollte. Konnte Kommunisten und Homosexuelle nach Lust und Laune verkloppen. War ein kräftiger Kerl, mein Vater. Hab viel von ihm gelernt. Vor allem, wie man mit Judenschweinen umgeht. Hab ihn geliebt, meinen Vater. Mehr als meine Mutter. Die war ihm zeitlebens hörig. Was anderes blieb ihr kaum übrig. Unterstützte ihn immer, egal was er tat. Kurz vor Kriegsende hauten wir ab. Wollten nach Südamerika. Nach Argentinien. Mithilfe der Kirche und Juan Perons. Vater hatte auch gute Beziehungen in die Schweiz. Mit falschen Pässen flüchteten wir über die Schweiz. Die Regierung half mit, die wusste genau, wer wir waren. War damals zehnjährig, als Vater beschloss, in der Schweiz zu bleiben, im Bündnerischen. Hat mir gefallen in Davos. Viele Gleichgesinnte. Nationalsozialisten hat es überall. Auch heute noch. Gott sei Dank! Was wäre die Welt ohne uns. Irgendjemand muss ja für Ordnung sorgen. So dachten auch die Nazijäger, die meine Eltern massakrierten. Waren Judenschweine, schon wieder. Damals Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger erwischte es viele von uns. Überall auf der Welt stöberten sie uns auf, auch meine Eltern. Hatte Schwein, dass ich gerade unterwegs war. Hätten mich bestimmt auch beseitigt. Wär besser gewesen, wenn wir uns nicht in Davos niedergelassen hätten. Davos – Frankfurter – Gustloff – 1936. Böses Omen. Hätte mein Vater wissen sollen.
 Ob ich Einsiedler sei, fragte er mich. Salzstein – Judenschwein. Mit seiner Gelassenheit hätt ich nicht gerechnet. Jeder andere wär vor lauter Angst verrückt geworden. Salzstein nicht. Nahm sein Schicksal einfach hin. Nein, Einsiedler sei ich nicht, antwortete ich. Zöge mich ein-, zweimal im Monat hierher zurück. Zum allein sein, zum Tiere beobachten. Im Winter nicht. Zu viel Schnee. Keine Chance raufzukommen. Ich sei Mörder aus Leidenschaft, sagte ich ihm. Dachte, das würd ihn endlich aus der Ruhe bringen. Weit gefehlt. Meinte nur, dass ich auch eine Art Künstler sei. Da hatte er recht. Intelligenter Bursche. Aber ein Judenschwein. Für mich sei das Totmachen eine Kunst, sagte ich. Mord dürfe man nicht von der moralischen Seite betrachten. Vor allem nicht als kunstfertiger Mordvirtuose wie ich. Predige mein Tun ja nicht von der Kanzel herab. Sitz ja in keinem Schwurgericht. Ich würdige mein Tun, das Morden, mit Rücksicht auf den künstlerischen Geschmack. Aus ästhetischer Sicht, wenn man so sagen will. Das tat schon mein Vater. Führ nur sein Werk fort und vervollkommne es. Das verstünde er, sagte Salzstein. Komischer Kauz. Liess sich anstandslos von mir an der Leine nach draussen führen, zum Pissen, zum Scheissen. Als er zu kotzen anfing, stellte ich ihm einen Eimer hin. Hab ja nichts gerochen. Nach welchen Kriterien ich meine Opfer aussuchen würde, wollte er wissen. Juden, Schwule, Kommunisten, Arschlöcher, sagte ich.
Seine Eltern seien Agenten gewesen, vor und während dem Krieg, hätten Himmler persönlich gekannt, sagte er eines Tages. Langsam wirkte das Gift, die Judensau wurde von Tag zu Tag schwächer. Hätten eine Menge Nazis gekillt, auch nach dem Krieg. Bis zu ihrem Tod. Seien wie meine Eltern umgebracht worden, sagte er, von einem Laster überfahren. Wir hätten vieles gemeinsam, meinte er. Künstler und Waisen. Halt die Schnauze, sagte ich und verpasste ihm eins. Wollte sich Liebkind bei mir machen. Ohne mich. Hab mich inzwischen daran gewöhnt, dass er nur ein Auge hat. Nannte ihn ab und an Polyphem. Wie einen Hund. Bei Regen zerrte ich ihn nach draussen. Liess ihn einfach draussen stehn wie unter der Dusche. Musste ihn ja sauberhalten, irgendwie. Wie einen Hund. Einen verfickten, jüdischen Hund. Der Kerl genoss es im Regen. Jedesmal. Komischer Kerl. Stand einfach im Regen, schaute nach oben und grinste. Der wusste, dass er nicht mehr oft im Freien im Regen stehen wird. Wusste es und blieb gelassen. Steckte meine Schläge einfach weg. Zäher Bursche. Salzstein – Judenschwein.
Wegen dem Kerl blieb ich beinahe drei Wochen am Stück hier oben. Wollte nichts verpassen. Wollte nicht verpassen, wie das Schwein verreckt. Langsam verreckt, ohne es richtig mitzukriegen. Gift ist eine tolle Sache. Kenn mich gut aus mit Giften. War nicht immer so. Zu Beginn meiner Karriere gebrauchte ich Messer, Hammer. Scharfe, spitze, harte Dinge, die geeignet sind für mein Tun. Dann mit blossen Händen. Fühlt sich gut an. So mit blossen Händen zuzudrücken, oder zuzuschlagen. Hab Fäuste hart wie Stein. Salzstein könnte ein Liedchen singen von meinen schaufelgrossen Händen. Pranken. Könnte, wenn er noch unter uns wär. Judensau. Anderen hab ich die Visage regelrecht zu Brei geschlagen. Schusswaffen verabscheue ich. Zu einfach. Zu laut. Zu wenig ambitioniert. Aber Gifte, Gifte sind toll. Toll war auch die Idee mit der Jauchegrube. Auf Fessis, bei den Bekloppten. War ziemlich einfach, das Rind da reinzukriegen. Habs einfach reingestossen. Sonst hätten sie das Judenschwein nie gefunden.
Ich hätte Angst vor dem Leben, sagte er. Inzwischen war ihm ein veritab­ler Bart gewachsen. Eingefallene Wangen, hervorstehendes Auge. Kein Wunder. Einmal am Tag gabs Suppe mit Gemüse. Genug für ein Judenschwein. Hatte Karotten und Kartoffeln mit hochgeschafft. Und Büchsensuppen. Eine Menge Büchsensuppen. Jeden zweiten Tag ein bisschen Gift dazu. Nicht zu wenig und nicht zu viel. Die genaue Dosis ist wichtig. Wollte nicht, dass sich sein Körper daran gewöhnt. Wollte, dass er langsam verreckt. Er sei nicht blöd, sagte er. Er wisse, dass ich ihn vergifte. Immer noch besser, als zu verhungern, als erschlagen, aufgeschlitzt zu werden, meinte er gelassen. Komischer Kauz. Wovor ich weglaufe, wovor ich mich verstecke, wollte er wissen. Halt die Klappe, sagte ich. Oder ich hau dir aufs Maul. Judenschwein. Liebe die Natur. Liebe die Ruhe. Tiere beobachten, das ist mein Ding.
Nach zehn Tagen begann er zu delirieren. War verwirrt. Fragte immer wieder, was er hier mache. Du stirbst hier, sagte ich. Sein Herz begann zu rasen. Er halluzinierte. Verlangte nach seinem Glasauge. Stammelte ständig was von Dämonen. Rief im Schlaf immer wieder nach jemandem, der Bes heisst. Komischer Name. Komischer Kauz. Wer Bes sei, fragte ich. Das sei sein Beschützer, stammelte er. Schlechter Beschützer, meinte ich. Bat mich, ihm das Auge wieder einzusetzen, bevor er stirbt. Wenn er sein blödes Auge unbedingt wolle, dann solle er es runterschlucken, sagte ich. Der Kerl nervte. Pisste sich ständig ein. Schiss sich voll. Sah widerlich aus. Gut, dass ich nichts riechen kann. Schliesslich gab ich ihm das Auge. Die Judensau war schon zu schwach, um sich das Auge einzusetzen. Jetzt begann er endlich zu wimmern, zu weinen. Wurde auch Zeit. Dann schluckte er es runter. Traute meinen Augen nicht. Schluckte das verdammte Ding einfach runter. Begann fürchterlich zu husten. Rang nach Luft. Das wars, dachte ich. Dachte falsch. Die Sau lebte weiter. Erholte sich sogar irgendwie. Für kurze Zeit. Komischer Kerl. Salzstein – Judenschwein.
War besser so, dass er sein verficktes Auge runtergeschluckt hat. Behalte ausser ein paar Polaroidfotos nie etwas von meinen Opfern. Nur die Erinnerung. Das reicht. Bin kein verdammter, hirnloser Trophäensammler. Das machen nur Dilettanten. Erhöhte die Dosis des Oleandrins. Lähmungserscheinungen traten ein. Konnte ihn nicht mehr wie einen Hund nach draussen zerren. Trug ihn nach draussen, wenn es regnete. Der Jude schaffte es immer noch zu lächeln, wenn er den Regen im Gesicht spürte. Komischer Kerl. Inzwischen war er zu schwach, um zu frieren. Es ging dem Ende zu. Keine schlechte Arbeit von mir. Bin zufrieden. Muss aber noch besser werden.
Machte mir langsam Gedanken, wie ich das Judenschwein entsorgen soll. Das prominente Judenschwein, das mit Scheisse malt. Gemalt hat. Der Kerl wird nie wieder malen. Ob er einfach nur Pech gehabt hätte, fragte er mich. Ja, sagte ich. Pech, dass du mir über den Weg gelaufen bist. Hab ihm manchmal vorgelesen. Aus meinen Lieblingsbüchern. Hat wahrscheinlich nichts mitbekommen von dem, was ich ihm vorgelesen hab. Delirierte immer häufiger. War aufregend zuzusehen, wie ihm allmählich das Leben entwich. Schätze, dass er noch ein paar Tage durchhält, dachte ich. Ob ich ihn begraben werde, fragte er mich, als er wiedermal zu sich kam. Vielleicht, antwortete ich. Vielleicht auch nicht. Ihm sei es egal, was ich mit seiner Leiche tun werde. Ihn ginge das alles nichts mehr an, wenn er tot sei, sagte er. Erstaunlicher Kerl, war immer noch imstande zu denken. Judensau – judenschlau. Fütterte ihn wie ein kleines Kind. Wie ein Kind, das ständig in die Hosen scheisst. Eklig. Gut, dass ich nichts riechen kann.
Hab ein paar Fotos gemacht. Mit meiner Polaroidkamera. Muss mein Tun dokumentieren. Den Verfall dokumentieren. Das Sterben, den Tod dokumentieren. Macht Spass. Das Fotografieren. Wie das Morden, das macht auch Spass. Befriedigt mich. Besser als Sex. Viel besser. Hab nie ein Opfer sexuell missbraucht. Das tun andere, nicht ich. Bin schliesslich Virtuose. Nur Dilettanten tun so was. Und Anfänger. Anstatt sich aufs Morden zu konzentrieren, gehn sie den Auserwählten an die Wäsche. Das verfälscht die ganze Aktion. Macht sie sinnlos. Als Mordvirtuose hat man seine Libido im Griff, steht über der Sexualität. Muss aufpassen wegen der Fotos. Könnten in falsche Hände geraten, irgendwann. Muss höllisch aufpassen.
Bevor Salzstein komplett wegsackte, fragte ich, warum er mit Scheisse gemalt hat. Keine Antwort. Fragte nochmals. Wieder keine Antwort. Verpasste ihm einen Satz warme Ohren. Zum letzten Mal, bevor er endgültig krepieren wird. Sag mir, warum du mit Scheisse gemalt hast, brüllte ich. Brüllte und brüllte, bis ich merkte, dass er tot war. Hätte den Kerl früher fragen sollen. Verdammte Scheisse. Salzstein – Judenschwein – malt mit Kot – ist jetzt tot. Keine schlechte Arbeit. Muss aber besser werden, noch besser. Man darf nie zufrieden sein mit dem, was man tut. Muss sich weiterentwickeln, vervollkommnen. Seltsam, dass er sein Glasauge nicht ausgeschissen hat. Muss irgendwo steckengeblieben sein. Irgendwo.
In einem der Fessis-Seelein werden sie das Judenschwein finden. Früher oder später. Kann froh sein, dass ich ihn nicht den Tieren und Tierchen überlasse, dachte ich. Trug den Judensack zu den Seelein. Kein Problem für mich. Hab schon Schwereres rumgetragen. Hält mich fit. Die werden Augen machen, wenn sie den Kerl aufschneiden. Und das Auge finden. Ha. Ein paar Tage später beschloss ich, die Judensau wieder rauszuholen aus dem Wasser. Hab den verfickten Judenrucksack bei mir liegen lassen. Gläser voller Tierkot. Nur ein Irrer sammelt Scheisse. Der gehört nicht in sauberes Wasser, dachte ich, der gehört in eine Güllengrube. Mit all seiner Scheisse, die er rumgetragen hat. Den Kerl soll man in einer Güllengrube finden. Genialer Schachzug von mir. Das hat richtig Stil. Totgemachter Kotmaler in Jauchegrube gefunden. Das gefällt mir. Den Bekloppten auf der Fessisalp wird das weniger gefallen. Ha. Diesmal werd ich dafür sorgen, dass sie nicht mehr so gut wegkommen wie damals, als ich den alten Querulanten und Säufer erledigt hab. Diesmal wird alles anders, dachte ich und lächelte. Trug den widerlichen Kerl mit seinem Scheissrucksack runter zur Alp der Bekloppten. Wohin denn sonst? Gibt ja nur dort eine Jauchegrube. War stockfinster. Kein Problem für mich. Meine zweite Haut macht mich unsichtbar. Kühe und Rinder ignorieren mich. Ich mag Tiere. Weil sie keine Menschen sind. Das Güllenloch war gross genug für die Judensau. Schmiss den Rucksack runter und warf den Juden hinterher. Seltsames Geräusch. Schloss die Luke und ging. Blieb stehen, dachte nach und beschloss, ein Rind in die Grube zu stossen. Und die Luke offenzulassen. Sonst finden sie den Kerl nie. War kein Problem, das Rind in das Loch zu bugsieren. Bin erstaunlich fit für mein Alter. Ha. Kräftiger Wind ging. Ideales Wetter für mein Tun. Die Bekloppten schliefen. Könnte ins Haus eindringen und einen nach dem andern erledigen. Mit blossen Händen. Bin ein Profi. Saubere Arbeit. Würde keine Spuren hinterlassen. Wie immer. Den Tieren zuliebe liess ich es. Jemand muss sich um die Tiere kümmern. Vielleicht ein andermal. Und nicht gleich alle miteinander.
Ein Judenschwein weniger, dachte ich, als ich mein Refugium verliess. Hat recht lange gedauert, bis ich alle Spuren von Salzstein beseitigt hatte. Kein Wunder. Hat eine ziemliche Sauerei hinterlassen. Nächstes Jahr schnapp ich mir einen Jäger. Einen verdammten Scheissjäger. Knallen einfach die Tiere ab. Die Tiere, die ich beobachte. Knallen sie einfach ab. Scheissjäger. Hab vor fünf Jahren schon mal einen erledigt. Als ich auf dem Weg hierher war. Konnte gerade noch verhindern, dass er meinen Lieblingshirsch abknallte. Rammte ihm mein Messer von hinten ins Genick. Knackknack. Seltsames Geräusch. Schmiss den Drecksack in eine Klamm hinunter. Haben ihn nie gefunden. Keiner knallt meinen Lieblingshirsch ab. Keiner.
Ich hätte Angst vor dem Leben, sagte er immer wieder. Die Judensau sagte, Angst schaffe Gewalt, Angst töte. Hab ihm eine runtergehauen. Der Kerl lächelte und meinte, das sei typisch für einen Angsthasen, der drohe und schlüge. Verpasste ihm noch eins. Und noch eins. Bis er Ruhe gab. War wirklich ein zäher Bursche. Forderte mich ständig heraus. Und das im Angesicht des Todes. Respekt. Respekt vor einem Judenschwein. Ha.
Muss die Fotos unbedingt meinem Freund Ripp zeigen. Der wird staunen. Sind die besten, die ich je gemacht hab. Aber erst mal nach Hause. Sachen erledigen. Mich wieder mal zeigen im Ort. Die Leute im Dorf scheinen mich zu mögen. Wenn die wüssten. Alles naive Trottel. Glauben einem alles, was man ihnen sagt. Wundert mich nicht. Denkfaule Idioten. Ist auch besser so. Haben eine Menge Respekt vor mir. Kein Wunder. Bin eine imposante Erscheinung. Will ich ihnen auch geraten haben. Dass sie Respekt vor mir haben. Vor einem Deutschen. Muss meinem Freund schreiben, will ihn unbedingt treffen. Ob er auch neue Fotos hat? Bin gespannt, was er getan hat die letzten zwei Jahre. War früher aktiver. Hat sich auf die Beseitigung von Nutten spezialisiert. Im In- und Ausland. Umtriebiger Kerl. Mag ihn. Ein Gleichgesinnter. Einer wie ich. Nennt sich Ripper. Wie Jack the Ripper. Ich nenn ihn Ripp. Einfach nur Ripp. Macht aus Huren wahre Kunstwerke. Ein Ästhet, wie er im Buche steht. Toller Typ. Hab einiges von ihm gelernt. Ripp war ein paar Jahre in Mexiko. Hat sich ordentlich ausgetobt dort. Seine Fertigkeiten perfektioniert. Ein wahrer Künstler. Wollte, dass ich ihn begleite. Hatte leider keine Zeit. Vielleicht ein andermal. Hab ihn vor Jahren mal mitgenommen in die Berge. Zum Tiere beobachten. Hat mir damals Fotos gezeigt, die er in Zürich gemacht hat. Eine Nutte aus der Karibik, oder was von ihr übrig blieb. Tolle Arbeit. Muss ich sagen. Hatte sogar ihre Augen mit. Konserviert in Formalin. Versteh ich nicht. Trophäen würden nur Dilettanten sammeln, sagte ich. Das wisse er, meinte er. Hätte eine Ausnahme gemacht. Die Augen seien einzigartig. Ganz spezielle Iriden. Meinetwegen, sagte ich. Trotzdem: aufpassen! Werd Ripp schreiben, sobald ich zu Hause bin. Kann es kaum erwarten, ihm die Fotos vom Judenschwein zu zeigen.
Salzstein – Judenschwein – malt mit Kot – ist jetzt tot. Ha.