Kirchberger Erdleute


Sechzehntes Kapitel
Kirchberger Erdleute

Leopold und die Kirchberger Erdleute sassen an einem runden Tisch, der beinahe die Ausmasse der Tafel hatte, um die sich die Ritter der Tafelrunde hinzuhocken pflegten, wenn sie Wichtiges zu bereden hatten. Sie taten sich gütlich an Speis und Trank und schauten einander lächelnd und zufrieden an.
Die runde Tafel befand sich in einem Gewölbe von beachtlichem Ausmass, das nicht nur von etlichen Fackeln erhellt wurde, die an den Wänden prangten, sondern vielmehr vom Leuchten unzähliger Wesen, die sich anmutig und langsam durch den Raum bewegten wie Quallen durch die unergründlichen Tiefen des Meeres. Sie schienen aus reinem Licht, aus purer Energie zu bestehen. Sie leuchteten nuancenreich, und ihr Licht war von angenehmer Intensität, mal hell, mal weniger hell, aber niemals zu hell. In Momenten der Ruhe verteilten sich die Lichtwesen gleichmässig im Raum, aber sobald einer der Anwesenden das Wort ergriff, schwebten viele von ihnen über dessen Haupt zusammen und stellten ihn regelrecht ins Rampenlicht. Laut Bömbur ernährten sie sich von Geräuschen, von Schallwellen, die sie in pure Energie umwandelten.
Während Bömbur mit Leopold zu sprechen begann, gesellten sich sofort einige der Lichtwesen zu Leopold und verharrten ob seinem Kopf, ungeduldig und zappelig wie kleine Kinder an Weihnachten. Da Bömbur seine Worte an Leopold richtete und ihn gleichsam anblickte, erwarteten die Lichtwesen erfahrungsgemäss, dass auch Leopold zu sprechen begann und damit seine Worte für sie einen willkommenen Leckerbissen darstellten. Je redseliger jemand ist, um so heller ist es um ihn. Viele der Unterirdischen haben es sich angewöhnt, leise vor sich hin zu singen, wenn sie im Dunkeln einherschreiten und auf eine Lichtquelle angewiesen sind. Die Lichtwesen folgen den Gesängen, laben sich an diesen und leuchten den dahin Schreitenden den Weg.
Die meisten der Lichtwesen halten sich gerne in Gesellschaft anderer, zu irgendeiner Form akustischer Artikulation fähiger Wesen auf. Nicht dass sie darauf angewiesen sind. Andere von ihnen bevorzugen Orte, wo sich niemals ein Unterirdischer hinbegeben würde, wo niemals auch nur das leiseste Geräusch zu hören ist, sie fristen dort ihr Leben, nur um der Existenz willen, ohne Ansprüche und ohne Erwartungen. Sie sind einfach da und leuchten schwach in der ewigen Dunkelheit, und das schon seit Anbeginn der Zeiten und bis in alle Ewigkeit. Trotz der Möglichkeit, diese düsteren Orte jederzeit verlassen zu können, machen sie nicht Gebrauch derselben und ziehen es vor, dort zu bleiben, wo sie schon immer waren – an dem Ort, der für sie bestimmt ist, und ihrer Bestimmung sind sie sich gewiss.
Leopold fühlte sich sichtlich wohl in der Welt der Unterirdischen. Er wusste nicht, wie lange er schon hier war, der Lauf der Zeit ist an diesem Ort ein gänzlich anderer als bei den Oberirdischen, wo die Zeit in Windeseile verfliesst und eingeteilt ist in Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden. Hier bei den Zwergen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein – zumindest hatte Leopold bisweilen diesen Eindruck. Oder sie verstreicht ganz einfach langsamer, als ob sich die Zeit Zeit lassen würde, um zu vergehen.
Nachdem mein Grossonkel das Psychiatrische Krankenhaus Baumgartner Höhe unter kundiger Führung der Kirchberger Erdleute verlassen hatte, wies ihn Bömbur als erstes darauf hin, dass es nicht ihrer Gewohnheit entspräche, Menschen ins Reich der Unterirdischen mitzunehmen, und sollte es dennoch der Fall sein, hielten sie diese bei sich fest oder sie kehrten stumpfsinnig und wahnwitzig unter die Leute zurück – vorausgesetzt die Eindringlinge fänden den Weg zurück. Das schien meinen Grossonkel Leopold zu jenem Zeitpunkt in keiner Weise zu beunruhigen und er unterliess die Frage, ob sie beabsichtigten, ihn jemals wieder zurückkehren zu lassen. Vielmehr war er verblüfft und begeistert zugleich ob der Art und Weise, wie die Zwerge sich in ihrer Welt fortbewegten, und vor allem, wie sie grosse Distanzen zurücklegten.
Im Krankenhaus Baumgartner Höhe verliessen sie das Krankenzimmer, eilten ein paar Schritte den weiss gekachelten Gang hinunter, betraten ein anderes Zimmer, wo vier behinderte Kinder in ihren Betten lagen, festgezurrt mit Lederriemen. In diesem Zimmer öffnete einer der Zwerge einen Schrank und hiess die übrigen einzutreten. Der Schrank entpuppte sich schliesslich als Aufzug, mit dem sie mit erheblichem Tempo in die Tiefe fuhren. Wo immer sie dann ankamen, traten sie in einen Flur hinaus, der sich endlos in beide Richtungen zu erstrecken schien. Es war ein geräumiger Korridor. Der Boden war belegt mit bunten, weichen Teppichen, die die Schritte der Zwerge dämpften. Es fühlte sich an, als ob man auf Moos ginge.
An den Wänden hingen zirka alle fünfzig Meter leuchtende, fein geschliffene Kristalle, die den langen Gang in diffuses Licht tauchten. Alle paar Meter gingen auf beide Seiten Türen ab und alle hundert Meter kreuzte ein weiterer Flur denjenigen, den sie entlanggingen. Leopold musste an das Labyrinth in Knossos denken und hoffte insgeheim, dass diese endlosen Flure nicht der Kerker eines Minotaurus oder sonst einer unerwünschten Kreatur war. Er hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Die Zwerge bogen mal nach rechts, mal nach links ab, öffneten ab und an eine Tür – mal auf der rechten, mal auf der linken Seite –, betraten den Raum dahinter und verliessen diesen durch eine andere Tür, die erneut auf einen Flur führte. Allem Anschein nach wussten sie genau, wohin sie gingen.
Nach gefühlten zwanzig Minuten sagte Bömbur zu Leopold, dass sie ihr Ziel bald erreicht hätten. Nachdem sie wieder einen der unzähligen Räume betreten und auf der gegenüberliegenden Seite verlassen hatten, gelangten sie in den Kirchberg, wo Leopolds neue Freunde hausten. Bömbur und seine Männlein parlierten während der ganzen Reise heftig miteinander. Vor allem sprachen sie über ihre Mission, das verschwundene Buch zu finden, und über einen Zwergen Namens Alwis, den zu finden und um Rat zu fragen angesichts der höchst unerfreulichen Umstände ihre dringlichste Aufgabe sei. Auch sprachen sie darüber, ob es unbedenklich und vor allem notwendig gewesen sei, ein Menschenwesen in ihre Reihen aufzunehmen. Sie unterhielten sich gerade so, als wäre mein Grossonkel gar nicht anwesend.
Den ganzen Weg nach Kirchberg schwieg Leopold, es hatte ihm richtiggehend die Sprache verschlagen ob all der neuen Eindrücke, die auf seine Sinne einwirkten. Er trottete den Kirchberger Erdleuten brav hinterher und musste unweigerlich daran denken, dass er etliche Jahre ganz in der Nähe verbracht hatte – in seinem geliebten Kirchberg. Er vermeinte sogar, hin und wieder ein Rauschen zu vernehmen und war fest davon überzeugt, dass das nur die Raab sein konnte, die ganz in der Nähe dahinfloss. Die Gewissheit, dass ihn die Zwerge nicht nach oben lassen würden, betrübte ihn in diesem Moment nun doch und machte seine Augen wässrig. Zu gegebener Zeit wollte er mit Bömbur darüber sprechen, ob es vielleicht eine Möglichkeit gäbe, seine Familie zu sehen.
Überwältigt vom unterirdischen Kirchberg, das das oberirdische bei Weitem an Pracht und Reichtum übertraf, musste mein Grossonkel Leopold abrupt innehalten und sich an einem kunstvoll geschmiedeten Geländer festhalten, das am Rande der Plattform befestigt war, von der aus sie einen tollen Blick auf das unwirkliche Dorf im Berg hatten. Durch das Zentrum der gigantischen Höhle floss gemächlich ein Flüsschen, das sich kurvenreich um die wenigen freistehenden Häuser wand, dessen Wasser hie und da ein Wasserrad antrieb und über das etliche Brücken gespannt waren, deren Geländer aus purem Gold geschmiedet zu sein schienen. Sie leuchteten kraftvoll im nuancenreichen Licht der fremdartigen Lichtwesen, die zahlreich in dem Gewölbe herumschwebten. Überall war üppiger Pflanzenwuchs. An den Felswänden sprossen orchideenartige Gewächse aus Nischen und Spalten hervor, der Boden war von sattgrünen, feuchten Wiesen bedeckt, auf denen allerlei Blumen und fremdartig anmutende Pflanzen gediehen, die sich sanft wiegten, obwohl kein Lufthauch zu verspüren war. Bunte, schmetterlingsgleiche Insekten leisteten den Lichtwesen, die diese üppige Fauna und Flora erst ermöglichten, Gesellschaft.
Die ganze Höhle war erfüllt von Leben und angenehmen Düften. Der Kontrast zu den endlosen Korridoren mit seinen zahllosen Zimmern war auffallend. Etliche Wohnstätten waren in den Berg gehauen, deren eiserne Eingangstüren wieder­um äusserst kunstvoll geschmiedet waren. Das Kirchberg der Erdleute erstreckte sich über mehrere Geschosse und verjüngte sich kegelförmig nach unten, ähnlich Dantes Vorstellung von der Hölle.
«Nun, mein Freund, was hältst du von unserem Dorf?», fragte Bömbur meinen Grossonkel, der immer noch völlig gebannt auf das Geschehen über und unter ihm blickte.
«Ich bin beeindruckt, ich bin überaus beeindruckt. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes märchenhaft.»
«Nenn es, wie du willst, Leopold, aber mit Märchen hat unsere Welt herzlich wenig zu tun. Auch wenn ihr Menschen vor allem aus Märchen von unserer Existenz erfahrt und eine völlig falsche Vorstellung von uns habt, so bin ich geneigt zu behaupten, dass das so absolut seine Richtigkeit hat und besser für euch ist. Wüsstet ihr über alles Bescheid, würdet ihr verrückt werden.»
Leopold schwieg und betrachtete weiterhin die trichterförmige Zwergenstadt und fragte sich, ob das alles Produkte seiner Fantasie waren oder ob die unterirdische Welt wirklich war. Oder war er am Ende doch an den Folgen der Tritte an seinen Kopf gestorben und befand sich im Purgatorium oder sonst wo? Immerhin waren sie ja unter der Erde, an einem – zumindest für ihn – unwirklichen Ort.
Die Erdleute gingen weiter und mein Grossonkel folgte ihnen. Sie schritten an zahllosen in den Fels gehauenen Behausungen vorbei, deren Eingangstüren für Zwerge von beträchtlicher Höhe waren.
«Warum sind die Türen so gross, wo ihr Erdleute doch von derart kleinem Wuchs seid?», fragte Leopold und blieb vor einer der schmiedeeisernen Türen stehen.
«Wir Männer sind zwar klein, aber unsere Frauen sind von normalem Wuchs und – wie du bald sehen wirst – von typisch elbischer Schönheit», antwortete Bömbur, «sie machen unsere schöpfungsbedingte Hässlichkeit mit ihrem Liebreiz bei Weitem wett.»
Leopold traute seinen Ohren nicht und konnte sich kaum vorstellen, warum sich gross gewachsene, anmutige Frauen zu hässlichen, krummbeinigen kleinen Kerlen mit bleichen Gesichtern hingezogen fühlen, ja diese sogar ehelichen und mit ihnen Nachwuchs zeugen sollen. Und überhaupt, warum waren ausser ihm und den fünf Kirchberger Erdleuten keine anderen Unterirdischen zugegen. Niemand anderes war weder zu sehen noch zu hören. Er getraute sich nicht zu fragen und folgte den dickköpfigen, graubärtigen Wichten, die zielstrebig weiterschritten und sich ungemein freuten, ihr Dorf endlich erreicht zu haben.
Und als ob Bömbur seine Gedanken gehört hätte, sprach er folgende Worte zu ihm: «Bedenke, mein Freund, wir Elben können jede Gestalt annehmen und sind somit imstande, unsere schönen und lichten Ehefrauen wie auch immer gestaltet zu beglücken. Dass wir aber die meiste Zeit als missgestaltete Wichte zubringen, hat mit unserer Schöpfung durch die Götter zu tun. Unser aller Vorfahren sind die Zwerge Motsognir und Durin, die aus Ymirs Blut und Gebeine geschaffen wurden und die schon damals von fragwürdigem Aussehen waren. Und die Götter werden wohl ihre Gründe gehabt haben, uns so aussehen zu lassen, wie wir nun mal aussehen. So wie ihr Menschen glaubt, euer Gott habe euch nach seinem Abbild geschaffen, so glauben wir, dass uns die Götter und Riesen, die selber aus Urzeugung entsprungen sind, uns nach ihrem Abbild geschaffen haben. Und es wäre ja – um es mit einem eurer Worte auszudrücken – Ketzerei, wenn wir unserer gottgegebenen eine andere Gestalt vorziehen würden.»
Die kleine Gesellschaft war inzwischen auf der untersten Terrasse angelangt, wo sie vor dem grössten und prächtigsten Tor Halt machten.
«Zu dieser Stunde halten wir Elben uns für gewöhnlich in unseren Behausungen auf», ergriff Bömbur erneut das Wort und öffnete mit einer schlichten Handbewegung durch die Luft das schwere Eisentor.
Nacheinander schritten sie durch einen geräumigen Gang, an dessen Wänden goldumrahmte Spiegel hingen und der erleuchtet war von kunstvoll geschliffenen Kristallen. Eine Tür aus purem Gold führte in einen Saal, der mit Edelsteinen und noch mehr Gold ausgeschmückt war. In grossen, reich verzierten Vasen wiegten sich dieselben bunten Pflanzen, wie sie Leopold schon draussen gesehen hatte. Ihre Blüten sahen aus wie Gesichter und schienen unentwegt nach Luft zu schnappen. Auch hier drinnen schwebten anmutig und unaufdringlich die Lichtwesen durch den Raum und tauchten alles in ein angenehm warmes Licht.
«Willkommen im Hause Bömburs und seiner Gefährten Nordri, Sudri, Anarr und Dwalin», sagte Bömbur mit erhobenen Armen zu Leopold, der vor lauter Staunen wie angewurzelt stehengeblieben war und einmal mehr seinen Sinnen nicht traute.
Nachdem Leopold endlich aus seiner Starrheit erwacht war, hiessen ihn die Zwerge, an der reich gedeckten Tafel Platz zu nehmen und versicherten ihm, dass er sich schon bald an den Prunk und die neue Umgebung gewöhnt haben werde. Mein Grossonkel setzte sich zögernd an den Tisch und versuchte, seinen Unglauben dadurch zu kaschieren, indem er vorgab, locker und ungezwungen zu sein.
«Wo sind eure Frauen?», fragte er einen der Zwerge, der sich neben ihn gesetzt hatte. «Leisten sie uns beim Essen keine Gesellschaft?»
Noch während er diese Frage an seinen Tischnachbarn richtete, vernahm er einen lieblichen Gesang, der eine betörende Wirkung auf ihn hatte und ihn alsogleich verstummen liess. Leopold sah sich um und stellte mit Verwunderung fest, dass die sich wiegenden Pflanzen nicht mehr nur nach Luft zu schnappen schienen, sondern vielmehr eine nach der andern in den bezaubernden Gesang einstimmten, und die Lichtwesen begannen, sich im selben Rhythmus zu bewegen und sich tanzend zu den singenden Pflanzen gesellten, welche sich nun ihrerseits in die schönsten Geschöpfe verwandelten, die Leopold bis anhin zu Gesicht bekommen hatte.
«Darf ich dir unsere Weiber vorstellen, mein Freund», sagte Bömbur nonchalant und schnappte sich eine grellrote Frucht von der Tafel. «Wenn sie nichts Gescheiteres zu tun haben, wandeln sie ihre Gestalt immerfort aufs Neue und überraschen nicht nur unsere Gäste, sondern auch uns selber. Und ich muss zugeben, dass es ihnen immer wieder gelingt, unsereinen in Staunen zu versetzen.»
«Hätten wir gewusst, dass ihr bereits heute zurück seid, hätten wir uns was Originelleres einfallen lassen», sagte eine der Elbinnen in einem spöttischen Ton, während die anderen mit ihrem sirenenhaften Gesang fortfuhren. Die Elbin schritt graziös an den Tisch zu Bömbur, drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die rechte Wange und stibitzte ihm die halbgegessene Frucht. Im Schein der Lichtwesen erstrahlte ihre Schönheit in einer Vollkommenheit, die kaum auszuhalten war, und meinem Grossonkel Leopold lief es kalt den Buckel runter. Dass sie wie die übrigen Elbinnen in hauchdünnen Stoff gewandet war, liess Leopold heftig erröten, und ob all der gebündelten Erotik verspürte er etwas in seiner Leistengegend, das er bis anhin niemals verspürt hatte. Er begann unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen und konnte seinen Blick nicht von Bömburs Gemahlin abwenden.
Seltsamerweise ignorierten die Elbinnen seine Anwesenheit, sie schienen ihn gar nicht wahrzunehmen. Jetzt begannen sie, die betörende Wirkung ihres Gesangs noch dadurch zu verstärken, indem sie wie Wirbelwinde um die Tafel zu tanzen begannen. Die Lichtwesen labten sich an ihrem Gesang und steigerten ihre Leuchtkraft derart, dass der hauchdünne Stoff der Gewänder sich im hellen Schein jetzt aufzulösen begann und die Elbinnen sich wie tanzende Derwische weiter im Kreise drehten, nackt und vollkommen. Die Zwerge lächelten und amüsierten sich köstlich, mein Grossonkel Leopold hatte eine Erektion, wie er sie bisher noch nie hatte. Der korybantische Tanz der Elbinnen wurde immer heftiger, ihr Gesang immer betörender, und mein Grossonkel Leopold spürte, dass, wenn es so weiterginge, er sich nicht beherrschen könne und sich in seine Hose entladen würde. Was dann auch geschah und die Zwerge zu kichern begannen und sich in Kopfhöhe gegenseitig die Hände abklatschten. Leopold starrte immer noch auf die vollkommenen Körper, so wie ein Idiot in die Umgegend starrt, die zu verstehen er nicht imstande ist.
Allmählich drehten sich die Elbinnen langsamer im Kreis und liessen ihren Gesang abklingen. Eine jede setzte sich sodann, nackt wie sie war, zu ihrem Gemahl und tat sich an den Köstlichkeiten gütlich. Gleichzeitig begrüssten sie einander stürmisch und geizten nicht mit Zärtlichkeiten. Leopold schienen sie immer noch zu ignorieren, was ihm sehr zupass kam. Er schämte sich fürchterlich und hätte am liebsten diesen wunderschönen, irgendwie lasterhaften Ort auf der Stelle verlassen. Es war ihm zuwider, wenn sich Erwachsene benahmen wie Jugendliche, die die Freuden der Lust gerade entdeckt hatten und sich in heftigem Experimentieren ergingen.
«Nimm unseren Frauen ihren kleinen Schabernack nicht übel, mein Freund, aber sie spielen gerne mit ihren Reizen, ungeachtet der Tatsache, dass wir einen Gast hergebracht haben. Ihr neckisches Benehmen stört uns Zwerge nicht und von ihrer Schönheit können wir nicht genug kriegen», sprach Bömbur zu Leopold, der immer noch in seinem Stuhl sass, als ob sich seine Organe vollständig verflüssigt und seinen Körper verlassen hätten. Er fühlte sich regelrecht ausgehöhlt. Sein klebriger Schwanz schien sich verselbständigt zu haben und überhaupt hatte er das Gefühl, nur noch aus seinem Schwanz zu bestehen. Diese Erfahrung war neu für ihn, wusste er doch nicht, wozu sein Körper imstande war, andererseits hätte er sich vor Scham und schlechtem Gewissen am liebsten in Luft aufgelöst oder sich wie die Elbinnen in eine Pflanze oder sonst was verwandelt.
Er versuchte die Augen zu schliessen, um all die wohlgeformten Brüste und Pobacken, die ellenlangen Beine und den ganzen erotischen Rest aus seinem Blickfeld zu verbannen, aber er schaffte es nicht. Obwohl es für Leopold beinahe unerträglich, weil völlig ungewohnt war, wollte er diese Momente höchster Sinnlichkeit auf keinen Fall missen. Er durfte gar nicht daran denken, in welche Gefilde der Lust er sich erheben würde, wenn die Elbinnen ihre volle Aufmerksamkeit ihm und seinem jungfräulichen Körper widmeten, wenn sie nicht ihre hässlichen Ehemänner liebkosten, sondern ihre weichen Lippen auf die seinen drückten und die samtene Haut ihrer Körper sich an dem seinen rieb, bis er sich wieder und wieder entladen würde.
«Eine sehr angenehme Vorstellung», dachte sich Leopold und konnte sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen.
Während mein Grossonkel sich seiner lüsternen Fantasie hingab, ergriff Bömburs Frau erneut das Wort, indem sie ihren Gatten fragte: «Und, mein Lieber, habt ihr das Buch gefunden, nach dem ihr so verbissen sucht?»
Sie fuhr mit ihren schlanken Fingern durch den grauen Bart Bömburs und kraulte sein Kinn, dass er wie ein Kätzchen zu schnurren begann.
«Nein, meine Liebe, das Buch haben wir noch nicht gefunden. Es ist nicht bei den Oberirdischen, wir haben keinerlei Anzeichen dafür gefunden, dass es von einem Menschen gestohlen wurde. Wir werden es in einer anderen Welt suchen müssen. Aber wir haben einen Freund mitgebracht, der uns bei der Suche behilflich sein wird. Er sitzt neben Dwalin und ihr habt ihn mit eurer Freizügigkeit und eurer Schönheit ganz schön aus der Fassung gebracht. Er heisst Leopold und ist ein Oberirdischer. Wir haben ihn aus den Fängen von Hitlers Schergen befreit.»
Darauf sagte die Elbin: «Liebling, du weisst doch, dass wir hier unten in unserer Welt keine Menschen mögen, weil sie dumm, habgierig und treulos und deshalb kurzlebig sind. Zudem stieren sie uns ständig mit lüsternen Blicken an. Kein Wunder, bei den Frauenzimmern, mit denen sie sich einlassen müssen. Und dein kleiner Freund scheint mir da keine Ausnahme zu sein. Schau ihn dir nur an, diesen Lustmolch, der hechelt ja schon wie ein räudiger Hund und würde mir am liebsten an die Wäsche, wenn ich denn welche tragen würde.»
Nach dieser spitzen Bemerkung fing die Elbin an zu lachen und zwinkerte meinem Grossonkel geheimnisvoll zu, sodass er seinen Blick sofort von ihr abwandte. Leopold fühlte sich völlig überfordert mit der momentanen Situation. Warum nur verspottete ihn dieses vollkommene Geschöpf im einen Moment und im anderen schien sie ihn zu necken. Warum nur diese eigentümliche Mischung von Sinnesart und Neigungen?
«Du solltest etwas essen, Leopold», sagte ihm sein Tischnachbar, «das wird dir guttun und dich auf andere Gedanken bringen.»
«Himmelherrgott, hier geht es ja zu wie in Sodom und Gomorrah», dachte sich mein Grossonkel. Er langte kräftig zu und fühlte sich allmählich wieder etwas entspannter. Ohne es mitbekommen zu haben, trugen die Elbinnen wieder ihre hauchdünnen Gewänder und dazu funkelnden Schmuck in den Haaren, an den Ohren, um Hals, Bauch und Hüften, an den Ober- und Unterarmen, an Händen, Fingern und an den Fussgelenken. Sie schimmerten schöner als die Sonne und blendeten meinen Grossonkel derart, dass er vermeinte, sein Augenlicht zu verlieren.
«Das ist ja kaum auszuhalten», dachte er und sagte seinem Tischnachbarn, dass er sich müde fühle und sich gerne etwas hinlegen würde. In Wahrheit fühlte er sich weder müde, noch wollte er sich hinlegen, vielmehr musste er dieser lukullischen Veranstaltung einfach entfliehen. Nicht, dass ihm der Auftritt der Elbinnen missfallen hätte, im Gegenteil, er konnte sich nicht entsinnen, jemals eine derart genussvolle Kurzweil gehabt zu haben, aber es war nun einfach genug. Schliesslich war er ein Mensch, der gerade noch im Krankenbett gelegen hatte, wo er sich von der Misshandlung fehlgeleiteter Patrioten erholte und vor seiner endgültigen Genesung von einer Schar Zwerge in eine Welt entführt wurde, die zu erfassen er noch nicht imstande war.
Dwalin schaute meinem Grossonkel lächelnd in die Augen und verstand sofort, dass er eine Auszeit brauchte. Er hiess eine der Elbinnen – sie war gerade damit beschäftigt, die leeren Becher mit Wein nachzufüllen – meinen Grossonkel in sein Gemach zu führen.
«Warum ich? Warum ausgerechnet ich? Ihr seht doch alle, dass ich gerade beschäftigt bin!», zeterte sie herum und vergoss in ihrem Zorn den blutroten Wein. «Ständig muss ich euch und allen andern zu Diensten sein, während ihr euch amüsiert. Und das nur, weil ich die Jüngste bin.»
«Benimm dich, mein Kind, und bring unseren Gast auf sein Zimmer», sagte Bömbur in einem ruhigen Ton.
Sie knallte den Krug auf den Tisch, dass der Wein überschwappte, verzog ihr hübsches Gesicht, packte Leopold bei der Hand und zerrte ihn wie ein unartiges Kind durch den Saal auf sein Gemach.
«Oh Gott», dachte mein Grossonkel, während er auf den wohlgeformten Hintern der temperamentvollen Elbin starrte, «warum nur kann mich nicht einer der Zwerge auf mein Zimmer geleiten.»